Gerdas Adventskalender

Dienstag, 8. Juli 2014

Der Weihnachtsesel





Der Weihnachtsesel


Dick und schwer purzelten die Schneeflocken vom grauen Himmel herab.Es war kalt
und Dunja fror in ihrem dünnen Mäntelchen.
Aber das machte ihr nur wenig aus. Sie hatte jetzt einfach keine Zeit,
um auf die Kälte zu achten und auch nicht auf das lustige Tanzen der Schneeflocken.
Es war jetzt schon fast Mittag. In einer knappen Stunde würden die Geschäfte zusperren.
Bis dahin musste sie es einfach gefunden haben. In vier Läden hatte Dunja es an
diesem Vormittag schon versucht, aber in keinem davon hatte sie genau das bekommen
was sie suchte. Jetzt wusste sie nur noch ein Geschäft in der Nähe der Altstadt,
wo sie es noch probieren konnte.
Also ließ sich Dunja mit der Menge der Menschen treiben, die genau wie sie
noch in letzter Minute etwas einkaufen mussten. Immer wieder wurde sie
angerempelt und gestoßen, weil die Erwachsenen nicht auf das kleine
Mädchen achteten, das da zwischen ihnen dahin stolperte.
Obwohl jetzt die friedlichste Zeit des Jahres sein sollte, ging es in
Wirklichkeit ganz anders zu. Dunja kam sich noch kleiner und verlassener vor,
als sie es ohnehin schon war. Sie war heilfroh, dass sie in die ruhigere kleine
Gasse einbiegen konnte, in der das Geschäft lag, zu dem sie wollte.
Nach ein paar Schritten stand sie endlich vor der Drogerie.
Dunja drückte fast ihre Nase an der Scheibe des Schaufensters platt.
Da drinnen, nur noch durch das Glas getrennt, lag es!
Sie hatte es wirklich gefunden. Das Weihnachtsgeschenk für ihre Mama!
So lange hatte sie danach gesucht.
Nicht, dass sie nicht gewusst hätte was sie ihr schenken sollte. Ganz im Gegenteil.
Sie wusste es ganz genau. Das hatte die Sache ja so schwer gemacht.
Dunjas Mama hatte wunderschöne, lange, dunkelbraune Haare.
Sie waren leicht gewellt und glänzten in der Sonne so hübsch.
Im Sommer hatte sie ihre Haare immer mit einer Klammer und einem
Kamm zu einer frechen Frisur hochgesteckt. Aber die Klammer war
zerbrochen und dem Kamm fehlten schon einige Zähne, so dass er nicht mehr
besonders gut hielt. Deswegen hatte Dunja beschlossen, ihrer Mama zu
Weihnachten einen neuen Kamm und eine neue Haarklammer zu schenken.
Aber es sollten kein gewöhnlicher Kamm und keine gewöhnliche Klammer sein.
Dunja stellte sich einen gebogenen Kamm und eine Klammer mit ganz langen,
runden Zähnen vor. Und goldfarben sollten sie sein, weil das so gut zur
Haarfarbe ihrer Mama passte. Genau das lag da vor ihr im Schaufenster.
Vor lauter Freude und Aufregung klopfte ihr das Herz bis zum Hals.
Sie entzifferte das Preisschild, das neben ihrem Geschenk stand.
45 Schillinge für die Klammer und 30 Schillinge für den Kamm.
Zusammen also 75 Schillinge. Das konnte Dunja sich gerade leisten,
es würden ihr sogar noch etwas übrigbleiben.
 Eigentlich waren 75 Schillinge ja nicht so viel Geld.
Aber Dunja hatte es nicht leicht. Sie und ihre Mama waren nicht das,
was man reich nennen konnte. Seit sie vor ein paar Monaten nach
Österreich gekommen waren, wohnten die beiden in einer kleinen dunklen
Kellerwohnung. Sie hatten nur einen kleinen Kasten, einen Tisch und
zwei Sessel. Zum Kochen gab es einen kleinen elektrischen Kocher und das
Wasser zum Waschen mussten sie in einer Schüssel vom Gang holen.
Kühlschrank gab es keinen. Und zum Schlafen gab es zwei alte
Matratzen und ein paar Decken. Spielzeug hatte Dunja keines.
Das hatte sie mit all den anderen Sachen zurückgelassen, als sie mit ihrer
Mama vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten musste.
Und auch ihr Papa war nicht da. Er war aus dem Krieg nicht
mehr heimgekommen und Dunja wusste nicht, ob er überhaupt noch
am Leben war. Oft lag Dunja auf ihrem Bett und weinte, weil sie so
alleine war und niemanden hatte, mit dem sie reden hätte können.
Nur die Pfarrschwester der Kirche in der Nähe ihrer Wohnung hatte
immer Zeit für sie. Sooft sie konnte, half Dunja ihr bei kleinen
Arbeiten in der Kirche, und weil sie eine schöne Stimme hatte,
durfte sie bei den Tauffeiern singen. Dafür bekam Dunja immer wieder
eine Kleinigkeit zugesteckt. Davon hatte sie Schilling um Schilling gespart,
um ihrer Mama zu Weihnachten die Haarklammer und den Kamm kaufen zu können.
Entschlossen ging Dunja in das Geschäft, grüßte höflich und erklärte der Verkäuferin,
was sie haben wollte. Das war gar nicht so einfach, weil sie ja die fremde
Sprache noch nicht so gut konnte. Am Ende zog sie die Verkäuferin einfach zum
Schaufenster und zeigte auf den Kamm und die Klammer. Die verstand,
holte die beiden Sachen aus dem Fenster und verpackte sie für Dunja besonders hübsch.
Dann ging die Verkäuferin zur Kasse und tippte den Preis ein.
Dunja griff in ihre Manteltasche, um ihre Geldbörse herauszuholen.
Aber da war nichts! Die Tasche war leer. Dunja griff in die andere Manteltasche.
Wieder nichts! Beide Taschen waren völlig leer.
Dunja erstarrte vor Schreck und wurde ganz bleich im Gesicht.
Sie durchwühlte noch einmal beide Taschen. Aber vergeblich.
Nur in der rechten Hand hatte sie ein verwelktes Salatblatt.
Der Überrest vom Futter für den Esel bei der großen Weihnachtskrippe
am Altstadtplatz. Tränen schossen ihr in die Augen und verzweifelt lief
Dunja aus dem Geschäft. Sie hatte sich schon so gefreut und jetzt war alles aus.
Kein Weihnachtsgeschenk für ihre Mama. Weinend rannte Dunja einfach weiter,
ohne dass sie wusste wohin. Auf einmal stand sie wieder vor dem
Zaun der Weihnachtskrippe. Sie lehnte sich an und dicke Tränen
kullerten über ihr Gesicht. Eine feuchte Schnauze stuppste sie an und die
raue Zunge des Esels leckte über ihre Wangen. Dunja streckte die Hand aus
und kraulte den Esel zwischen den Ohren. Es tat ihr gut das weiche
Fell zwischen ihren Fingern zu spüren. Sie erzählte dem Esel ihr ganzes Leid.
Als ob er sie verstehen könnte, hielt er still und leckte immer wieder über ihr Gesicht.
Dunja fühlte sich ganz klein und elend. Sie erinnerte sich an das verwelkte
Salatblatt in ihrer Manteltasche und hielt es dem Grautier hin.
Gemächlich nahm es der Esel aus ihrer Hand und fraß.
Dann senkte er den Kopf und wühlte ihm Stroh am Boden herum.
Mit geschlossenen Augen streichelte Dunja die Mähne des
Esels."Iii-Aah!" sagte der.
"Ist ja schon gut, lieber Esel." murmelte Dunja.
"Iii-Aah" meldete sich der wieder und stieß sie sanft an.
"Ich hab‘ doch nichts mehr!" sagte Dunja zum Esel und sah
ihn an. Und auf einmal ging ein Leuchten über ihr Gesicht
und ihr Weinen war wie weggewischt. Die Tränen aus ihren
Augen kamen diesmal vor lauter Lachen. So froh war sie nicht
mehr gewesen, seit sie von Zuhause hatte weggehen müssen.
Der Esel hatte ihre Geldbörse im Maul. Dunja musste es hier
bei der Krippe verloren haben, als sie in der Früh da war, um
dem Grautier seine Salatblätter zu füttern.
"Danke! Ich dank dir, du lieber Esel du!
Vielen Dank!" rief sie.
Dann wandte sie sich um und rannte so schnell sie konnte
zurück zu dem Geschäft, um das Weihnachtsgeschenk für ihre Mama zu holen.


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